Schönstädter Handwerk in vier Jahrhunderten (Selbständige)

Wenn man diese Tabelle näher betrachtet, sieht man, dass es in unserem Dorf am Ende des Mittelalters noch fast keine selbständigen Handwerker, die allein von ihrer Arbeit lebten, gab, außer den Berufen Müller, Schmied, und Wagner.
Der Bäckerberuf ist auch ein altes Handwerk, das aber erst 1501 bei uns auftauchte.
Schnapsbrennereien hatten die beiden Gutshöfe und die sechs Gastwirte betrieben.
Man findet unter den Brennern 1723 auch einen Juden namens Wolf, der auch einen „Laden” hatte.
Maurer, Schneider, Schreiner, Schuhmacher hingegen sind höchstwahrscheinlich nicht selbständige „Meister” sondern gelernte oder ausübende Handwerker.
Vielleicht auch „züftige”. Die Zunft spielte in Schönstadt keine bedeutende Rolle. Überliefert ist 1745 der Bäcker, der gleichzeitig auch Schuhflicker war, da beide Berufe eine gemeinsame Zunft hatten. 1748 sind die Leineweber in Cölbe als „zünftig” bezeichnet. In Schönstadt gibt es nur einen überlieferten zünftigen Leineweber, Johann· Heinrich Leisge aus der Dorfmühle. Seine Zunftflasche wird noch heute von seinen Nachfahren aufbewahrt.

Die Marburger Zünfte hatten im Amt Marburg viel Einfluss und ließen nicht jedes Handwerk auf den Dörfern aufkommen. Man kennt noch heute das alte Sprichwort von dem „Handwerk legen”.

Vor 200 Jahren spielte sich folgendes Geschehnis ab. Die Marburger Metzgerzunft regte sich über die billigen Fleischlieferungen der drei jüdischen Metzger aus Bürgeln und Betziesdorf im Gericht Schönstadt auf. Sie wollten also den Juden das „Handwerk legen”. Die Schönstädter Bürger haben sich mit einer Unterschriftenaktion für das billigere Fleisch, wie auch der in Bürgeln wohnende spätere Hess.-Kass. Innenminister von Fleckenbühl, eingesetzt. Es wurde danach beschlossen, dass die jüdischen Metzger nach wie vor ihren Beruf ausüben durften. Der Erfolg lag aber daran, dass die jüdischen Metzger die Ware stundeten, genaugenommen auf Ratenzahlungen lieferten.

Auffallend ist auch der in zwei Lehrerfamilien (Rindt und lrle) von 1710 bis 1760 durchgeführte Orgelbau. Uber die Arbeiten beider gibt es viele Zeichnungen. Von Rindt sogar eine Prospekt-Zeichnung für die reformierte Kirche in Kirchhain.

Interessant erscheint auch, dass in Schönstadt 1777 eine „Fabrique” mit drei mechanischen Maschinen für die Herstellung von Feinstrümpfen existierte. Die fertige Ware ging zum Verkauf nach Marburg. Ludwig Nadebusch, der Besitzer der „Fabrique”, verzog einige Jahre später nach Marburg.

Trotz neun Lehrer, vier Einzelhändler, drei Postboten und zwei Banken usw. ist der freiberufliche, wirtschaftliche und verwaltungstechnische Sektor der Dienstleistungen heute in Schönstadt niederschmetternd. Vor 230 Jahren war die Dienstleistung nicht weniger, nur anders, der Zeit entsprechend.

Durch den allgemeinen Wohlstand wird dieser Missstand zugedeckt, und die meisten Bewohner der Dörfer merken es nicht, dass das Dorf eines Tages keine „Daseinsberechtigung” mehr hat, wenn es so weiter geht.

Vor 25 Jahren war über die „soziale Aufrüstung der Dörfer” die Rede, um in eine sichere Zukunft ziehen zu lassen. Der Wohlstand und die Überbeschäftigung hinderten die Politiker, hier die Weichen zu stellen.

Die Dörfer wurden immer ausgenutzt. Erst durch den Adel, dann von den städtischen Zünften. Im dreißig bzw. siebenjährigen Krieg mussten die Dörfer herhalten, sogar mit ihrer Existenz. Auch im zweiten Weltkrieg, bei der Aufnahme der Evakuierten aus den zerbombten Städten, und nach dem Krieg mussten die Dörfer die Flüchtlinge aufnehmen.

Der Dank an die Dörfer war die Gebietsreform, die „ferne Bürgernähe”, die fast den letzten Dolchstoß bedeutet, wenn die Politiker, die diese zu verantworten haben, keinen besseren Weg finden.

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